Stimmen zu AHP  

Erfahren Sie mehr von Betroffenen über ihr Leben mit akuter hepatischer Porphyrie (AHP)

Stimmen zu AHP ist eine Plattform mit echten Geschichten von echten Menschen über AHP. Diese Geschichten können dazu beitragen, diejenigen, die vielleicht noch nicht diagnostiziert wurden, dazu zu ermutigen, die Symptome von AHP und wie sie das Leben von Menschen mit AHP beeinflussen, zu erkennen und zu verstehen.

 

MEINE ZWEI ICHS: LEBEN MIT PORPHYRIE

Eine Geschichte über menschliche Stärke, Durchhaltevermögen und Überleben. Sie beschreibt das Leben von sieben Menschen aus verschiedenen Ländern, die an akuter hepatischer Porphyrie (AHP) leiden, einer stark beeinträchtigenden, seltenen, genetisch bedingten Erkrankung, die mit stark belastenden Attacken und bei einigen Betroffenen mit chronischen Symptomen einhergehen kann. Der Film stammt von der Emmy nominierten Regisseurin Cynthia Lowen und wurde von Alnylam Pharmaceuticals produziert.

Menschen, die mit AHP leben, müssen oft bis zu 15 Jahre warten, bis sie eine zutreffende Diagnose erhalten. Erzählen Sie 15 Personen von dem Film. So schärfen Sie das Bewusstsein für AHP und können mithelfen, die Zeit bis zur Diagnose zu verkürzen.

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Eva, lebt mit AHP

"Meine Hoffnung für die Zukunft ist, dass über die Erkrankung besser aufgeklärt wird, dass bekannt ist, dass es eine solche Erkrankung gibt, und dass man vielleicht einfach nur bei jedem Patienten, der mit Bauchschmerzen ins Krankenhaus kommt, für die man spontan gar keine Ursache findet, vielleicht einfach mal einen schnellen Spontantest auf Porphyrie macht."

Ben, lebt mit AHP

"Hoffentlich gibt es mal die Möglichkeit, ein Stück weit in das alte Leben zurückkehren zu können, indem man Symptome besser beherrschen kann und Anfälle, für die, die es betrifft, vermeiden kann."

 

Stimmen zu AHP Podcast Serie

Stimmen zu AHP ist eine Podcast-Serie, die das Bewusstsein für AHP wecken und zeigen soll, wie es ist, mit dieser seltenen chronischen Krankheit zu leben.
Hören Sie sich die Gespräche zwischen Menschen, die mit AHP leben, und Mitgliedern der AHP-Community über persönliche Erfahrungen und Tipps zum Umgang mit der Krankheit an.

AGNES

 

WIR SPRECHEN ÜBER:

Erste Symptome, die Diagnose und der Alltag mit der Krankheit

EPISODE 1   SABINE, AGNES UND MECHTHILD

In dieser Folge des Podcasts „Stimmen zu AHP" spricht Sabine von Wegerer vom Berliner Leberring mit Agnes, die mit AHP lebt sowie ihrer Mutter Mechthild über Agnes' erste Symptome, die Diagnose und den Alltag mit der Krankheit. Agnes erzählt, wie ihre Liebe zur Musik sie positiv gestimmt hält und wie sie ein Gefühl der Erleichterung spürte, als sie wieder Geige spielen konnte.

Dieser Podcast wurde von Alnylam Pharmacuticals produziert und finanziert und steht der Öffentlichkeit nur zu Informationszwecken zur Verfügung; er sollte nicht zur Diagnose oder Behandlung von Gesundheitsproblemen oder Krankheiten verwendet werden. Er ist nicht als Ersatz für die Konsultation eines Arztes gedacht. Bitte kontaktieren Sie Ihren Arzt für weitere Informationen und Ratschläge. Die in diesem Podcast beschriebenen Auswirkungen der AHP-Symptome beruhen auf den persönlichen Erfahrungen und der Perspektive der Sprecherin, die mit dieser Erkrankung lebt und sie in ihren eigenen Worten beschreibt. Nicht alle Menschen, die mit der Krankheit leben, werden die gleichen Symptome erfahren.

Stimmen zu AHP Episode 1 Sabine: Hallo und herzlich willkommen. Mein Name ist Sabine von Wegerer, ich bin vom Berliner Leberring, und wir haben eine Beratungsstelle für Lebererkrankungen und Porphyrien in Berlin. Wir haben uns 1997 gegründet, also vor 23 Jahren, und seit 2008 haben wir die Porphyrie in unser großes Thema mit reingenommen. Wir haben eine Gruppe, die sich zweimal jährlich trifft, Veranstaltungen und Symposien bieten wir an, wir sind auch bei Facebook und Forum und überall eigentlich, vor allen Dingen www.porphyrie-berlinerleberring.de. International und national haben wir eine tolle Ärzte-Datenbank inzwischen bekommen.
So, und jetzt freue ich mich, Ihnen die Podcast-Reihe „Stimmen der AHP-Patienten“ vorzustellen. Der Podcast bildet das Leben von Menschen mit Akuter Hepatischer Porphyrie, kurz AHP, ab und soll Zuhörer für das Thema sensibilisieren. In dieser Episode beschäftigen wir uns mit dem Weg der Diagnose und dem Leben mit AHP. Dabei geht es unter anderem um die emotionalen Auswirkungen und um die Unterstützung der Familie und Freunde. Heute werde ich mit Agnes, die mit AHP lebt, und ihrer Mutter Mechthild sprechen. Ich denke, dass durch ihre Erfahrung das Leben mit einer chronischen seltenen Krankheit deutlich dargestellt werden kann und dies das Bewusstsein für AHP schärfen kann. Zunächst aber lese ich Ihnen noch aus rechtlichen Gründen den Haftungsausschluss vor. Dieser Podcast wurde von Alnylam produziert und finanziert und steht der Öffentlichkeit nur zu Informationszwecken zur Verfügung. Er sollte nicht zur Diagnose oder Behandlung von Gesundheitsproblemen oder Krankheiten verwendet werden. Der Podcast ist nicht als Ersatz für eine Konsultation zu einem Arztes gedacht. Bitte fragen Sie Ihren Arzt für weitere Informationen. Die in diesem Podcast beschriebenen Auswirkungen der Porphyriesymptome basieren auf den Erfahrungen und Perspektiven der Patienten und ihren Familien mit der Krankheit, die in ihren eigenen Worten beschrieben werden. Nicht alle Menschen, die mit der Erkrankung leben, erleben die gleichen Symptome. Nun, jetzt können wir beginnen, und ich begrüße ganz herzlich Agnes und Mechthild.


Agnes and Mechthild:   Hallo, hallo!

Agnes: Ich bin die Agnes, ich bin 21 Jahre alt, und bei mir wurde die Akute Intermittierende Porphyrie vor dreieinhalb Jahren diagnostiziert.

Mechthild: Mein Name ist Mechthild, und ich bin Agnes‘ Mutter. Ich denke, es ist eine wunderbare Ergänzung, wenn ich verschiedene Ereignisse der Krankheit meiner Tochter mit meinen Worten beschreibe oder kommentiere.

Sabine: Agnes, wie sah denn dein Leben vor der Diagnose aus?

Agnes: Ja, wenn ich zurückdenke, war ich immer sehr beschäftigt. Neben der Schule war ich zum Beispiel auch Mitglied im Bayerischen Roten Kreuz, in der Wasserwacht oder Ministrantin in unserer Gemeinde. Und … ja, in der Schule und auch in meiner Freizeit habe ich vor allem viel an musikalischen Aktivitäten teilgenommen. Zum Beispiel habe ich im Chor gesungen und in mehreren Orchestern Geige gespielt. Und … ja, das hat mir einfach immer sehr, sehr viel Spaß gemacht, und eben besonders die Musik ist und war schon immer ein sehr großer Teil in meinem Leben.

Sabine: Du sagst ja, dass die Musik für euch eine große Leidenschaft ist … und deiner Familie. Mechthild, magst du uns ein wenig darüber berichten?

Mechthild: Ja, gerne. Musik ist für unser Familienleben sehr wichtig und hat schon immer eine große Rolle gespielt. Sei es, dass wir einfach selber musizieren oder auch ins Konzert gehen, intensiv zuhören oder andere musikalische Veranstaltungen besuchen oder auch selber machen. Musik ist eine wunderbare Beschäftigung, und in unserer Familie sind wir sehr verbunden miteinander. Insgesamt sind wir wirklich ein tolles Team in der Familie, und ich bin wahrlich sehr stolz auf meine Familie.

Sabine: Das klingt ja nach einer sehr engen und sich unterstützenden Familie. War dies schon immer so der Fall?

Mechthild: Ja, eigentlich schon. Also wir helfen, wo es geht, und wenn Gedanken an den anderen kommen, dann teilen wir die mit, und wir sind eigentlich immer füreinander da. Das ist uns sehr wichtig.

Sabine: Agnes, wann hast du zum ersten Mal Anzeichen und Symptome von AHP verspürt?

Agnes: Das war während des letzten Schuljahres, da hat mein Papa ein Musical komponiert, und ich sollte die weibliche Hauptrolle spielen, und … ja, ich hab‘ mich sehr darauf gefreut und wir haben viel geprobt, und … ja, besonders hab‘ ich mich darauf gefreut, auch mal auf der Bühne zu stehen. Aber dann, kurz vor der Premiere, ging’s mir plötzlich sehr schlecht. Ich hatte keine Kraft mehr, keine Energie mehr … ja, und dazu bekam ich noch sehr starke Bauchschmerzen, und ja, es wurde tatsächlich so schlimm, dass das Musical-Projekt für mich dann da beendet war. Das ging so weit, dass ich in den schlimmsten Zeiten nicht mal trinken oder essen konnte oder Medikamente schlucken, ohne dass ich alles wieder erbrechen musste. In dem Zusammenhang verlor ich dann auch sehr schnell an Gewicht und … ja, mein Allgemeinzustand hat sich einfach so verschlechtert, und … ja, irgendwie wusste aber auch niemand, woran das jetzt genau lag oder warum das passiert ist.

Sabine: Das muss ja für euch eine sehr schlimme Zeit gewesen sein, oder, Mechthild?

Mechthild: Ja, das kann man wirklich so sagen. Das Schlimmste war eigentlich, dass wir eigentlich die Ursache nicht wussten und nicht kannten. Es gab natürlich ein paar Anzeichen: Agnes war im Abitur, ganz klar, da ist sie im Stress. Aber Agnes – das hat sie vorhin gerade gesagt – hat seit Frühjahr 2017 sehr viel an Gewicht verloren, und sie hatte sehr stark und häufig Bauchschmerzen. Das war für sie sehr untypisch. Und sie war oft krank im Bett; das hab‘ ich eigentlich bis zu dem Zeitpunkt überhaupt nicht gekannt von ihr. Sie hat sich eben auch häufig erbrochen, das hat schon sehr an den Nerven gezehrt. Das war wirklich sehr besorgniserregend. Agnes hat sich aber immer bemüht, stark und positiv gestimmt zu sein, und das war wieder erleichternd für uns.

Sabine: Was geschah denn als Nächstes? Mechthild, du hattest Agnes ins Krankenhaus gebracht?

Mechthild: Ja, so war es wirklich. Ich hab‘ sie ins Krankenhaus gebracht, und dort wollte man sie zunächst erst mal nicht behalten. Das war sehr seltsam. Sie sagten uns, dass sie wahrscheinlich nur unter Stress litt, eben des Abiturs wegen. Das war wirklich nicht ganz unwahrscheinlich, aber in den Tagen zuvor hatte sie einfach sämtliche Medikamente erbrochen. Alles. Und ich hab‘ einfach dann nicht lockergelassen. Sie wurde dann aufgenommen. Bei ihr wurde sehr schnell eine Gluten-Unverträglichkeit diagnostiziert, und der behandelnde Arzt sagte und versicherte uns, dass das leicht zu behandeln sei. Aber das war’s dann auch. Zu diesem Zeitpunkt dachten die Ärzte im Krankenhaus in keinem Moment daran, dass es etwas anderes sein könnte.

Sabine: Wie war diese Zeit für dich, Agnes?

Agnes: Ja, ich kann mich nicht mehr so gut daran zurückerinnern, aber ich weiß auf jeden Fall noch, dass ich – nachdem ich zwei Wochen im Krankenhaus war – einfach nach Hause gehen wollte, aber mir ging es einfach überhaupt nicht besser. Trotz der medizinischen Behandlung hat sich einfach mein Zustand überhaupt nicht gebessert. Ich hatte immer noch starke Bauchschmerzen, Übelkeit, Schwäche, Müdigkeit, Hilflosigkeit und Erschöpfung und … ja, manchmal hatte ich auch das Gefühl, dass mich niemand verstanden oder ernst genommen hat. Niemand konnte ja auch irgendwie meinen Zustand erklären.

Sabine: Und wie war das für dich, Mechthild?

Mechthild: Das war sehr schwierig. Denn Agnes sagte eigentlich zu mir: Mama, ich bin hier im Krankenhaus, und mir geht’s immer schlechter und schlechter. So war’s einfach auch. Das war ganz offensichtlich. Ihr Zustand war rapide nach unten gegangen. Und das hat mich sehr, sehr ratlos gemacht.

Sabine: Wann wurde die AHP als mögliche Ursache für diese Symptome in Betracht gezogen? Agnes?

Agnes: Ja, die Schmerzen wurden einfach nicht besser, eher schlimmer, und es ging dann sogar so weit, dass ich eines Morgens meine Arme nicht mehr richtig heben konnte. Also, meine gesamte Kraft verschwand einfach so schnell und ich wurde immer schwächer, und erst als sich der Zustand halt überhaupt nicht gebessert hat – auch mit der derzeitigen Behandlung, das war dann die glutenfreie Ernährung wegen der Gluten-Unverträglichkeit –, und auch als das keine Besserung brachte, da wurde die Porphyrie als mögliche Diagnose herangezogen. Und zwar hat zuerst ein befreundeter Arzt von uns die Krankheit Porphyrie erwähnt – sie war ja für uns alle zuvor eigentlich unbekannt. Ja, aber leider wies dann mein eigener Arzt diesen Vorschlag zurück, obwohl halt die Beschreibung der Symptome exakt zu meinen eigenen gepasst hat. Er dachte nämlich, dass halt die zu diesem Zeitpunkt diagnostizierte Gluten-Unverträglichkeit der Grund meines Zustands ist. Und … ja, dann bekam ich zusätzlich noch Halluzinationen und meine Lähmungen wurden noch schlimmer. Ich konnte dann meine Beine nicht mehr bewegen oder laufen, und … ja, ich lag somit dann eigentlich nur noch im Bett.

Sabine: Was meinst du, Mechthild, warum wurde die Vermutung, dass es sich womöglich um Porphyrie handelt, nicht ernst genommen?

Mechthild: Ja, ich glaube nicht, dass die Ärzte schon einmal einen Fall gesehen hatten, überhaupt so einen Fall. Die Krankheit ist, klar, selten. Aber die Ärzte haben sich einfach auch auf nichts anderes eingelassen. Die Ärzte nahmen einfach an, dass es sich um etwas anderes handelte, alles andere als Porphyrie. Egal, welche Informationen ich auch lieferte.

Sabine: Und wie wurde dann die Diagnose schließlich gestellt?

Mechthild: Einige Tage nach der Einlieferung ins Krankenhaus begannen die Lähmungen – Agnes hat’s schon gesagt –, zuerst Arme und Beine. Aber viel wichtiger war noch, dass die Blutwerte nach mehrfacher Kontrolle nachgewiesenermaßen unregelmäßig waren. Der Arzt sagte dann, er müsse sie auf die Intensivstation verlegen, die Agnes. Und hier haben dann die schweren Halluzinationen begonnen. Halluzinationen wünscht sich keiner. Das ist etwas ganz, ganz Schwieriges, ganz Schlimmes. Ein befreundeter Internist, der sehr viel Erfahrung mit Porphyrie hat, den bat ich, ins Krankenhaus zu kommen. Er hat es dann gemacht und hat im Krankenhaus das behandelnde Team auf den kupferroten Urin hingewiesen. Dieser kupferrote Urin war wirklich so, wie im Lehrbuch als sicheres Zeichen von Porphyrie beschrieben, sichtbar. Der Arzt drängte dann seine Kollegen auf einen Porphyrie-Test. Ja … aber es vergingen dennoch einige Tage, bis das Testergebnis bekannt war. Weil Agnes eben nicht mehr laufen konnte und weil die neurologischen Zustände so schlimm wurden, wurde sie in die neurologische Intensivabteilung eines anderen Krankenhauses verlegt. Und erst dort bekamen wir dann die Diagnose „Akut Intermittierende Porphyrie, AIP“, eine Form der Akut Hepatischen Porphyrie, kurz AHP.

Sabine: Na, das ging ja Schlag auf Schlag. Sag’ mal, Agnes, was geschah denn dann?

Agnes: Ja, also meine Lähmungen, die beeinträchtigten dann schließlich auch meine Atmung, sodass ich an ein Beatmungsgerät angeschlossen werden musste und ich wurde auch ins künstliche Koma versetzt. Und ja, wie die Mama schon gesagt hat, ich wurde dann in ein anderes Krankenhaus auf die neurologische Intensivstation verlegt, und ab dann war ich mehrere Tage nicht ansprechbar. Also ich kann mich an diese Zeit nicht mehr gut zurückerinnern.

Sabine: Was war das Nächste, an das du dich erinnerst, Agnes?

Agnes: Ja also, das Nächste, woran ich mich erinnere, ist, dass ich im Bett aufgewacht bin. Ich hatte einen Beatmungsschlauch im Mund und … ja, konnte mich überhaupt nicht bewegen, nicht sprechen, nicht mal einen Finger bewegen. Also – geistig bekam ich alles mit, aber körperlich war ich komplett gelähmt. Ich hab‘ zwar meine Eltern und alle um mich herum gesehen und wahrgenommen und auch gehört, aber ich konnte mich nicht mitteilen. Und so haben wir dann uns etwas ausgedacht: Wir versuchten sozusagen zu kommunizieren, indem jemand auf die Buchstaben auf einer … also wir haben eine Tastatur vom Computer ausgedruckt und die einzelnen Buchstaben … hat dann mein Papa mit dem Finger draufgezeigt, und ich hab‘ immer genickt, welchen Buchstaben ich sagen wollte. Und … ja, so haben wir uns dann durch Wörter ausgetauscht, weil Sätze hätten dann zu lange gedauert. Ja, und nach mehreren Tagen auf der Intensivstation wurde ich dann auf die normale Station verlegt. Mittlerweile hatte ich dann auch ein Trachiostoma, also eine Kanüle im Hals zum Atmen bekommen. Und … ja, auf der Station hab‘ ich dann mit Physiotherapie, Logopädie, Ergotherapie und Psychotherapie begonnen. Und Schritt für Schritt begann ich immer klarer zu denken und mit den Menschen um mich herum besser zu kommunizieren, auch meine Extremitäten – also Arme und Beine – wieder ein bisschen mehr zu bewegen. Ja, und was für mich eigentlich das Wichtigste war: wieder Dinge selbständig zu tun. Nicht nur hilflos im Bett zu liegen, sondern eben Dinge wieder ohne Hilfe zu tun. Das klingt zwar sehr banal, aber den Knopf zu drücken, um das Krankenhauspersonal zu rufen, also das war damals ein großer Erfolg für mich, auch wenn es jetzt ein bisschen merkwürdig klingt.

Sabine: Na, das muss ja eine ganz schwierige Zeit gewesen sein. Wie bist du denn mental damit umgegangen?

Agnes: Ja, das war natürlich nicht leicht. Vor allem, weil ich ja geistig komplett anwesend war. Aber was mich immer so weitergebracht hat, ist: Ich hab‘ mich immer darauf gefreut, die ganzen Dinge wieder alleine zu machen. Alleine zu atmen, zu gehen, zu sprechen, zu duschen und wieder Geige zu spielen. Und ich habe nie daran gedacht, dass ich für immer im Rollstuhl sitzen werde. Ich wusste tief in mir, dass ich all diese alltäglichen Dinge irgendwann wieder tun kann, und ... ja, auch wenn es sehr viele Jahre dauern wird. Und dieser Blick in die Zukunft hat mich immer angetrieben, weiterzumachen und auch weiter zu kämpfen.

Sabine: Die ganze Situation muss ja auch für dich als Mutter so wie für ganze Familie eine sehr schwierige Zeit gewesen sein.

Mechthild: Ja, das stimmt. Ich war ja eigentlich jeden Tag bei Agnes in der Klinik. Meine Familie zu Hause musste viel und oft auf mich verzichten. Aber sie haben es einfach gemacht, weil sie gewusst haben, dass Agnes mich zu dem Zeitpunkt einfach dringender braucht. In einer solchen Zeit lebt man ja sehr fokussiert. Wir haben viele Stunden zusammen geübt, Bewegungen mit ihren gelähmten Armen und Beinen. Bewegen, immer wieder bewegen, bewegen, bewegen. Wir haben das Halten von Gläsern und Tassen und Löffeln geübt – alles, was man zum Mund bringen muss, kann, darf –, unzählige Male. Und was mich am meisten im Nachhinein jetzt auch noch bewegt, das ist, dass wir zusammen gelernt haben für ihr Abitur. Sie hat ja nach dem schriftlichen Abitur den großen Einbruch gehabt und konnte die mündlichen Prüfungen nicht zeitgemäß ablegen. Und auf der Intensivstation hat sie die erste mündliche Prüfung, mündliche Abiprüfung, abgelegt. Agnes hat es uns immer leicht gemacht. Sie hat auch gesagt, sie ist ein Kämpfertyp, sie schaut nach vorne. Sie ist unglaublich positiv, und sie hat immer nach vorn geschaut, nie den Kopf in den Sand gesteckt. Und was bewegend war immer wieder: Wenn sie geschwiegen hat, dann haben wir auch gemeinsam geschwiegen.

Sabine: Ab wann konntest du wieder nach Hause gehen?

Agnes: Im Oktober 2017 war ich mittlerweile seit fünf Monaten im Krankenhaus, und dann wurde ich auf die Reha verlegt. Und … ja, ich hab‘ dann langsam Fortschritte gemacht, und wie die Mama gesagt hat, konnte mein Abitur dann sogar mithilfe von meiner Familie und meinen Lehrern dann auch abschließen. Ja, insgesamt hab‘ ich einfach gespürt, dass ich wieder mehr Kraft und Energie bekommen hab‘; ich konnte meine ersten Schritte mit einer Gehhilfe gehen und auch mein Handy wieder benutzen und Gespräche ohne die Kanüle führen. Ja, also so langsam ging alles aufwärts. Und dann, Mitte April 2018, wurde ich dann aus der Reha entlassen und durfte endlich, nach insgesamt 11 Monaten in Krankenhaus und Reha, wieder nach Hause gehen.

Sabine: Und wie war das Gefühl, wieder zu Hause zu sein?

Agnes: Ja, zunächst hab‘ ich mich natürlich gefreut, wieder bei meiner Familie zu sein, aber ich hab‘ schnell gemerkt, dass es nicht so einfach war, wie ich gedacht hab‘. Es war schwierig, wieder zu Kräften zu kommen. Ich war jetzt wieder mehr auf mich alleine gestellt. In der Reha hat man immer Krankenhauspersonal um sich herum gehabt. Und auch Dinge, die ich für selbstverständlich gehalten hatte, wie zum Beispiel das Treppensteigen oder die Körperpflege, aber auch das Essen, haben mich halt so viel Mühe und Kraft gekostet und Anstrengung, sodass ich Ende Juni dann wieder im Krankenhaus gelandet bin. Und zu diesem Zeitpunkt hab‘ ich mindestens viermal am Tag gebrochen, egal, was ich gegessen oder getrunken habe, und die Bauchschmerzen haben vor allem wieder begonnen. Also genau wie vor einem Jahr. Und ja, mir ging es nur schlechter und es war einfach nur schrecklich, weil die Lebensqualität, die ich ja gerade erst wiedererlangt hatte, ist halt wieder gesunken. Ich fühlte mich im Krankenhaus nicht wohl, weil sich nichts gebessert hat, und … es sah eben so aus, als müsste ich wieder in die Reha gehen, wenn wir nicht bald eine Lösung finden.

Sabine: Welche Lösung wurde denn schlussendlich für dich gefunden?

Agnes: Ja, es kam wieder Hoffnung auf, und zwar durch den Porphyrie-Spezialisten in Deutschland, den Professor Stölzel. Ich war auch schon auf seiner Station im Februar 2018, und er kam eben zu dem Entschluss, dass ich an einer Studie für die Behandlung von akut hepatischer Porphyrie teilnehmen kann. Und das hab‘ ich dann auch gemacht, weil … es war einfach die einzige Chance, die Verbesserung meines Gesundheitszustands zu erreichen. Und ich hatte auch Glück: Nach Beginn der Behandlung hat das Erbrechen wirklich sofort aufgehört. Ich hab‘ immer noch von Zeit zu Zeit eine gewisse Übelkeit verspürt, auch heute noch, aber dieses ständige Erbrechen hat wirklich sofort aufgehört. Und ich war sehr glücklich, weil ohne ständiges Erbrechen einfach das Leben so viel lebenswerter sein kann. Und von da an ging die Genesung dann sehr gut voran; ich hab‘ immer mehr an Kraft gewonnen, ich bin mehrmals wöchentlich wieder zu meinem Physiotherapeuten gegangen, bin öfter geschwommen und … ja, konnte sogar wieder ein bisschen Geige spielen.

Sabine: Mechthild, welche Auswirkungen hat diese Erfahrung insgesamt auf euch als Einzelpersonen, aber auch als Familie gehabt?

Mechthild: Ich möcht‘ vorher noch was dazu sagen: Agnes hat gesagt, dass sie wieder Geige spielen kann. Das ist etwas ganz Besonderes, denn sie hat … sie war ja komplett gelähmt und hatte vorher wirklich auch in Geige Abitur gemacht; sie hat einfach große, schwere Konzerte gespielt. Und als sie dann wieder die Geige in die Hand nahm und wieder ausprobiert hat, da hab‘ ich gewusst, das ist ganz wichtig für sie, und da kommt sie wieder auf einen guten … da ist sie auf einem guten Weg. Aber klar, das hat alles sehr, sehr viel Kraft gekostet, auch für die Familie und für mich. Aber ich hab‘ immer gespürt und ich spüre jetzt auch, wie die Beziehung zu meiner Tochter sich sehr vertieft hat. Wir haben ein unerschütterliches Vertrauen, das ist gewachsen. Wir können leichter jetzt eine Krise anschauen und überstehen. Wir wissen, dass AHP meistens eine genetische Krankheit ist. Bis jetzt bin ich getestet worden, ebenso wie die drei Geschwister von Agnes, und wir sind alle negativ. Mein Mann wurde erst kürzlich getestet, und wir warten jetzt noch auf das Ergebnis. Es kann aber auch sein – so haben uns die Ärzte gesagt –, dass Agnes die Einzige ist, die AHP hat.

Sabine: Sag‘ mal, Agnes, konntest du deinen beruflichen Werdegang mit der Unterstützung deiner Familie fortsetzen?

Agnes: Ja, also dank meines guten Genesungsprozesses konnte ich dann mein Grundschul-Lehramtsstudium beginnen, vor allem auch mit Hilfen von Seiten der Uni. Und natürlich konnte ich auch während dieser Zeit immer auf die Hilfe von meinen Eltern, meinen Geschwistern, auch von meinem Freund und meinen Freunden zählen. Sie waren immer für mich da, haben mich in meinem Alltag und an der Uni immer unterstützt, sodass ich immer unabhängiger und selbständiger wurde und wieder mehr Kraft bekam.

Sabine: Welchen Rat würdet ihr anderen geben, die sich in einer ähnlichen Situation befinden? Was sagst du, Mechthild?

Agnes: Ja … alles, was ich allen anderen sagen kann, ist, dass sie einfach so lange Fragen stellen, bis sie passende Antworten erhalten. Das ist das A und O. Die Ärzte müssen einfach stärker für diese Krankheit sensibilisiert werden. Das betrifft jetzt nicht nur Agnes‘ Krankheit, sondern viele andere Krankheiten, die selten sind. Bei Agnes war es so, dass letztendlich ihr Leiden schneller gelindert hätte werden können, wenn der Urintest früher durchgeführt worden wäre. Die Symptome des AIP werden nämlich häufig mit anderen Krankheiten verwechselt, und das erschwert die Diagnose. Wir danken ganz herzlich dem Berliner Leberring, der uns hervorragend informiert diese spezielle Krankheit. Das ist für uns sehr wichtig, und es hat uns sehr viel geholfen. Jede Minute ist wichtig und wertvoll und jede Anstrengung notwendig. Nichts bekommt man auch umsonst. Aber Agnes und meine Familie, wir sind der lebende Beweis. Unser Zusammenhalt ist stärker denn je.

Sabine: Sag mal Agnes, Wie hat sich dein Alltag seither verändert?

Agnes: Ja, ich kann jetzt wieder viele Dinge machen, häufiger und länger Geige spielen zum Beispiel, oder in den Orchestern, und auch wieder in der Wasserwacht schwimmen oder mich auch anderweitig sportlich betätigen … ja, und das macht mich auch sehr glücklich. Die einzige offensichtliche Einschränkung, die ich immer noch habe, ist, dass ich aufgrund meiner Fußheberschwäche mit Orthesen laufen muss, aber daran hab‘ ich mich auch schon ein bisschen gewöhnt. Ich kann zwar noch nicht alles tun, was ich gerne möchte und ich bin auch leicht erschöpft von der Hausarbeit oder von der Uni oder vom Sport, aber trotzdem bin ich auf dem richtigen Weg. Ich bin ein anderer Mensch geworden, aber ich bin immer noch ein glücklicher. Und das Wichtigste und was ich auch allen mitgeben möchte: Ich denke nicht oft darüber nach, was mir fehlt, sondern eher darüber, was ich habe und all die positiven Dinge, die ich aus dieser schwierigen Zeit mitnehmen kann. Und auch … besonders daran werd‘ ich halt festhalten. Wir müssen in die Zukunft schauen. Mit einem positiven Geist, einer positiven Einstellung und auch mit Dankbarkeit für die kleinen, unscheinbaren Dinge im Leben und vor allem mit einem Lachen auf den Lippen lebt es sich so viel leichter und schöner.

Sabine: Agnes und Mechthild, ich möchte mich bei euch ganz herzlich bedanken für diese Teilnahme und das offene Gespräch, was ihr mit mir geführt habt.

Agnes and Mechthild:   Gerne. Ja, danke auch


Sabine: Sehr schön. Dann beende ich jetzt dieses Podcast und wünsche Ihnen alles Gute.
 

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